Aus dem Labor: Gezüchtete Menschenhaut

Aus dem Labor: Gezüchtete Menschenhaut

Im Münchener Krankenhaus Bogenhausen züchtet ein hoch­qualifiziertes Ärzteteam Menschenhaut, um Schwerbrandverletzten damit das Leben zu retten

Der 20jährige Thomas (Name von der Red. geändert) liegt seit über vier Monaten im Zentrum für Brandverletzte in München-Bogenhausen. Nach einem Autounfall war er nicht schnell genug aus dem Fond des brennenden Fahrzeugs gekommen. Er erlitt schwere Verbrennungen, die 60 Prozent seiner Haut zerstörten. Kein Einzelschicksal, wie 15.000 Brandopfer pro Jahr allein in der Bundesrepublik verdeutlichen.

Aber Thomas hatte Glück im Unglück. Er wird von Dr. Guido Graf Henckel von Donnersmarck behandelt. Der Chirurg ist einer von drei Spezialisten der Hautbank am Krankenhaus München-Bogenhausen, die als erste in der Welt seit ca. 15 Jahren mit der Hautzüchtung im Labor begonnen hatten.
Dr. Donnersmarck hat dem Patienten bis heute 60 Kulturen Eigenhaut  verpflanzt. Diesen einizigartigen Züchtungen der Hautbank verdankt Thomas vermutlich sein Leben.

Initiator und Leiter des Brandverletzten-Zentrums Prof. Dr. Wolfgang Mühlbauer betont: „Unser Verfahren hat gegenüber anderen Hautbanken, die Leichen- oder Tierhaut aufbewahren, entscheidende Vorteile. Zum einen können wir den Spender vor der Entnahme und drei Monate danach gründlich auf eventuelle Infektionen wie Aids oder Hepatitis untersuchen und so eine Infizierung des Empfängers hundertprozentig ausschließen. Zum anderen umgehen wir den sonst unvermeidbaren Abstoßungseffekt der körpereigenen Immunabwehr.“

Die Idee stammt aus den USA

Wie so viele Neuerungen im Bereich der Medizin, kommt auch dieses Verfahren aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Im Jahre 1975 entwickelten dort die amerikanischen Forscher Jim Rheinwald und Howard Green die Keratinozyten-Kultivierung. Diese Methode brachte Dr. Rolf Soehnchen von der dermatologischen Universitäts-Klinik München mit in die Bundesrepublik. Als Partner für die praktische Anwendung der neuen Technik gewann er Professor Mühlbauer, der sich seit längerem mit Fragen der Hautkultivierung beschäftigt hatte.

Das Ziel war eine Hautbank

Ziel einer zweijährigen Erprobungsphase war für Professor Mühlbauer von Anfang an die Einrichtung einer Hautbank mit gezüchteter Menschenhaut.
Die Hautbank besteht aus dem Arbeitsraum und dem Zell-Labor. Zur Grundaustattung gehören: eine sterile Arbeitsbank, an  der alle Arbeiten mit offenen Zuchtgefäßen ausgeführt werden, ein Kohlendioxyd-Inkubator, der die optimalen Bedingungen für das Wachstum der Haut-Kulturen bietet, ein Invert-Mikroskop, um auch die unteren Zellschichten der Haut betrachten zu können, sowie Kühl- und Gefrierschränke für die verschiedenen Arbeitsmaterialien. Nicht zu vergessen: ein Tiefkühlschank, indem die gezüchteten Kulturen aufbewahrt werden.

Wie wird Menschenhaut gezüchtet?

Das Labor wird zunächst von Dr. Anton Hartinger geleitet. Der Mediziner gilt als Experte für Züchten von Zellkulturen. Das ursprüngliche Hautbank-Team wird  komplettiert durch eine medizinisch-technische Assistentin.
Wie produziert man nun Menschenhaut? Dr. Anton Hartinger erklärt: „Entweder entnehmen wir einem Patienten ein etwa zehn Quadratzentimeter großes, 0,2 Millimeter dickes Stück Spalthaut, oder wir verwenden „Reste“ aus der Schönheitschirurgie. Diese Hautstücke werden aufgelöst, bis die bestehenden Zellverbände in Einzelzellen getrennt sind. Von den verbliebenen Zellen der Oberhaut sind dann ein bis zwei Prozent solche Keratinozyten, die in der Lage sind, neue Haut zu bilden. Die geschieht durch Aussäen der Keratinozyten auf einer Lage von Hilfszellen im Zuchtgefäß, wo die Zellen letztendlich siedeln und sich vermehren können.“

Eine wundersame Vermehrung

Diese sogenannte Primär-Kultur lässt sich im Labor vervierzigfachen. Um eine noch höhere Vervielfachung zu erreichen, muss der Vorgang wiederholt werden. Die dabei gewonnenen Keratinozyten werden erneut ausgesät und bilden innerhalb von zwei bis drei Wochen einen geschlossenen, hauchdünnen Zellrasen. Der auf diese Weise gewonnene milchig-durchsichtige Zellverband kann dann transplantiert werden. Oder er wird in einem speziellen Medium bei 80 Grad Minus im Tiefkühlschrank der Hautbank aufbewahrt – er ist dann etwa ein Jahr verwendbar.
Zur Aufbewahrung  wird der Zellverband mit einer Glyzerin-Lösung versetzt, die die Zerstörung der Zellen durch gefrierende Wassertropfen verhindert. In Fettgaze verpackt und luftdicht in Aluminiumbeutel verschweißt, werden sie dann eingefroren. Um beim Einfrieren eine gleichmäßige, stufenlose Abkühlung um jeweils ein Grad zu erreichen, werden die Beutel noch in Metallplatten gelegt und mit Styropor geschützt.

Die Forschung steht trotz Erfolges niemals still

Im eigen Haus hat die Hautbank bisher mehreren hundert Patienten mit den selbst gezogenen Kulturen versorgt. Für die Verpflanzung zeichnet der plastische Chirurg Dr. Guido Graf Henckel von Donnersmarck verantwortlich. Zahlreichen Patienten konnte mit Haut aus der Hautbank bisher geholfen werden, auch anfangs, wenn die Erfolgsrate beim Anwachsen der gezüchteten Haut nur bei 20 Prozent lag. In allen drei Bereichen – Züchtung, Aufbewahrung und Verpflanzung von Zuchthaut – leisten die Münchener Mediziner ständig neue Forschungsarbeit. „Wir nutzen unterschiedliche Materialien, Transplantationsverfahren und auch Kulturverfahren, um alle drei Phasen unserer Arbeit ständig weiter zu verbessern“, bestätigt Professor Mühlbauer.
Die Zusammenarbeit der Spezialisten aus verschiedenen Gebieten bietet allerdings schon heute Schwerbrandverletzten größere Heilungs- und sogar Überlebenschancen als bisher.

Eine private Stiftung sicherte den Start der Forschungsarbeit

Für die Anschaffung der wichtigsten Apparaturen mussten weit über 50.000 Euro aufgewendet werden. Das Geld stammt aus der Stiftung von Professor Dr. Dr. Wilhelm Vaillant, einem Münchener Mäzen der medizinischen Forschung. Mit der neuen Hautbank steht dem Brandverletzten-Zentrum des Krankenhauses ein wichtiges Hilfsmittel im Kampf gegen Verbrennungsfolgen zur Verfügung.
Nach Deckung des Eigenbedarfs an Zucht-Haut werden auch andere Brandverlerzten-Zentren in der Bundesrepublik mit der Menschenhaut aus dem Labor beliefert. Kontakte mit den bayerischen Spezialkliniken in Murnau und Nürnberg bestehen bereits seit längerem.
„Sollte der Bedarf entsprechend groß sein“, meint Professor Mühlbauer, „so ist in einigen Jahren auch eine Vergößerung der Räumlichkeiten denkbar“.