Der Blutegel: Seit über 3500 Jahren Helfer der Medizin

Der Blutegel: Seit über 3500 Jahren Helfer der Medizin

Bereits 1500 v. Chr. wurde über die Behandlung der kranken Menschen mit Blutegeln berichtet. In Keilschrift erwähnten die Babylonier den medizinischen Einsatz des heilenden Ringelwurms. Die erste europäischer Aufzeichnung über die Blutegeltherapie stammt von dem griechischen Arzt und Dichter Nikander von Colophon aus dem 2. Jahrhundert v. Chr.

Als eigentlicher Erneuerer der Therapie gilt jedoch Themison von Laodika, ein Schüler Äskulaps. Von ihm übernahm der berühmte Leibarzt von Kaiser Marc Aurel, der Grieche Galenos (129 bis 199 n. Chr.) dessen Kenntnis und Methode. Er konnte damals nicht ahnen, dass sich die moderne Medizin die Wirkungsweise der Blutegeltherapie zu Nutze machen würde.
Anfang des 17. Jahrhunderts wurde der medizinische Blutegel, Hirudo medicinalis, bei verschiedenen Erkrankungen zum Aderlass eingesetzt, der sich als besonders wirkungsvoll erwiesen hat. Die Verwendung von Blutegeln war im 18. und 19. Jahrhundert so in Mode gekommen, dass man von „Vampirismus“ sprach und sogar die Ausrottung der Egel drohte.
Obwohl 1854 allein in Frankreich 57 Millionen Egel verbraucht wurden, geriet die Blutegelbehandlung in Europa zunehmend in Vergessenheit. Erst im Jahre 1923 erhielt die Blutegeltherapie durch einen französischen Chirurgenkongress bei uns wieder neuen Auftrieb.

Blutegel
© Top Press
In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde durch neue Operationsmethoden in der Mikrochururgie der Blutegel wieder en vogue. Vor allem bei venösen Stauungen in der Transplantationschirurgie wird heute vermehrt der medizinische Blutegel eingesetzt.
Legendär ist der Fall eines Jungen, der bei einem Unfall ein Ohr verlor, das ihm von Chirurgen der Harvard Universität wieder angenäht wurde. Das Ohr drohte abzusterben, die Mediziner setzten Blut­egel an und retteten das Organ. Das war 1987, seitdem ist der Egel wieder rehabilitiert.
Aber auch bei vielen anderen Krankheitsbildern wie Angina pectoris, Apoplexie, Arthose, Brustdrüsenentzündung, Depressionen, Furunkeln, Gallenblasenentzündung, Hypertonie, Krampfadern, Mandelabzess, Nebenhöhlenentzündungen, Phlebitis, Rheuma, Thrombosen oder Tinnitus wird der Blutegel als „medizinischer Helfer“ zur Behandlung hinzugezogen.

Einsatz in der Medizin


Die Blutegeltherapie wird vor allem in der plastischen Chirurgie hauptsächlich nach Replantation von Ohren, Fingern, Zehen oder Hautlappen und in der unfallchirurgischen Versorgung zur Wiederherstellung der Durchblutung nach Haut- und Gliedmaßenverletzungen durchgeführt. Zwar wird bei diesen operativen Eingriffen die arterielle Versorgung mikrochirurgisch wieder hergestellt, der venöse Abfluss dagegen bereitet Schwierigkeiten. Es dauert gut eine Woche, bis die Kapillaren wieder von allein nachsprießen. In dieser Zeit kann es infolge von Blutstauungen zu einer ungenügenden Blutversorgung der Kapillargefäße kommen, wodurch eine Gewebsnekrose eintreten kann.
Durch den Einsatz des medizinischen Blutegels Hirudo medicinalis kann die venöse Stauung abgesaugt und das umliegende Gewebe gerettet werden. Die Wirkung der Blutegelbehandlung beruht in der Hauptsache auf zwei entscheidenden Faktoren:
1. Die Hirudinwirkung: gerinnungshemmend, lymphstrombeschleunigend, antithrombotisch, gefäßkrampflösend.
2. Die Wirkung des Blutentzugs: allegemin erleichternd und beruhigend, blutreinigend und entgiftend, entzündungshemmend, krampflösend.

Anwendungsmethode


Zum Herausnehmen aus dem Aufbewahrungsgefäß schiebt man einen Löffel oder Spatel unter den Saugnapf und löst so das Tier von der Unterlage. Die Egel sind nur mit reinen und nikotinfreien Fingern oder Geräten zu berühren. Auf Desinfektionsmittel (Benzin, Parfüm, Äther, Seife oder Alkohol) reagieren sie sehr empfindlich und saugen die Hautstellen nicht mehr an. In solchen Fällen hilft dann nur noch das Bestäuben oder Verreiben von Puderzucker, Blut, Eigelb oder frischer Milch auf der Haut. Nachdem die Ansatzstellen mit warmem Wasser oder einem feuchten Tuch ohne Seife und Chemikalien gereinigt wurde, nimmt man zum Ansetzen ein kleines Glasgefäß und stülpt den Blutegel an die gewünschte Körperstelle. Mit seinen drei scharfen Kiefern ritzt er die Haut an und verursacht eine y-förmige Wunde. Das austretende Blut wird durch das Saugen direkt in die 20 Vorratsmägen geleitet. Durch das abgesonderte Hirudin wird die Gerinnung des Blutes verhindert.

 

Glasglocke
©  Top Press
Im Normalfall nimmt der Blutegel rund das Fünffache seines Eigengewichtes auf. Das aufgenommene Blut wird in einem Zeitraum von 5 bis 18 Monaten verdaut, wobei sich die Saugfähigkeit aber schon nach 2 bis 4 Monaten wieder einstellt. Nach einer Blutmahlzeit kann ein Egel im Durchschnitt bis zu zwei Jahren hungern.
Die Zahl der anzusetzenden Blutegel richtet sich nach dem Alter des Patienten, dessen Ernährungszustand und dessen Krankheitsbild sowie der Häufigkeit der geplanten Anwendung und der Größe der Blutegel. Bei Kindern darf pro Lebensjahr höchstens 1 Tier angesetzt werden.

Ein feiner stechender Schmerz


Ein feiner stechender Schmerz und rhytmische Saugbewegungen zeigen an, dass der Biss stattgefunden hat und der eigentliche Saugakt beginnt. Die Saugzeit beträgt durchschnittlich 15 bis 30 Minuten, kann allerdings auch bis zu 3 Stunden dauern. Wenn der Egel sich voll gesaugt hat, löst er sich von selbst.
Da der Blutegel beim Saugakt Hirudin in die Biss­wunde und Blutbahn abgibt, können die Bisswunden manchmal bis zu 12 stunden nachbluten. Der Blutverlust, der von einem Egel verursacht wird, beträgt in der Regel ca. 50 ml, davon entfallen 10 ml auf die abgesaugte Menge und 40 ml auf die Sickerblutung aus der Wunde. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, eine Blutegelbehandlung in den frühen Morgenstunden vorzunehmen, um im Laufe des Tages eine Kontrolle der Nachblutung zu haben. Bei länger dauernden Nachblutungen ist es ratsam, ein Abstillen der Bisswunde vorzunehmen. Dafür sollten sterile Kompressen verwendet werden.