Die Heilkraft der Musik

Die Heilkraft der Musik

Musik wirkt auf Körper, Seele und Verstand. Sie spricht den ganzen Menschen an. Musik ist eines der wirksamsten Medien zur Aktivierung unserer Selbstheilkräfte. So ist sie noch heute bei vielen Urvölkern eine der wichtigsten Heilmethoden. Auch in der modernen Psychotherapie werden zunehmend Klang und Musik therapeutisch genutzt - mit großem Erfolg.

Musik

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© Top Press
Der Laie mag es sich kaum vorstellen können, was eines unschönen Novembertages vor rund 20 Jahren seinen Anfang nahm und zu einem vielbestaunten Ende führte: Schauplatz: eine kleine Klinik im Elsaß. „Täter“: ein Mitvierziger, der diesen Brief (Auszüge) schrieb:

„Ihre Durchlaucht! Ich erlaube mir höflichst, bei Ihnen anzufragen, ob sie fünf Zimmer möbliert haben. Ich habe meine Möbel in London bestellt. Ferner 80 weiße Esel aus dem Nachlaß der selbigen Königin Viktoria. Dürfte ich Durchlaucht um ihre Hand anhalten! Ferner bestellte ich in Marokko, wo ich vor drei Jahren zwei Feldzüge gegen Beduinen mitmachte und zwei Schüsse in die Brust bekam, vier Berberhengste schwarz, vier Berberhengste weiß... Mit vollkommener Hochachtung Ihr Dr. Artur Achilles Hektor Leo Hans Edgar Cecil Lionel Judah Baron ben Halury, päpstlicher Graf von Caserta, Graf von Waldkirch.“

Diese absonderlichen Zeilen stammten von einem Patienten des französischen Psychiaters Eric Grancourts.
Der Schreiber jener Zeilen war an fortschreitender Paralyse erkrankt, einem Leiden, das wie kaum ein anderes deutlich macht, wie krankhafte Veränderungen des Zentralnervensystems das komplette Seelenleben auseinandernehmen oder zerstören können. Im Elsässer Fall geschah damals nahezu ein Wunder: der Patient konnte geheilt werden. Dank einer Therapie, die heute längst gang und gäbe ist: die Musik heilte ihn! Oder wie es der Ulmer Diplom-Psychologe Werner Ahrscholz auf einen Nenner bringt: „Über die Musik können wir heute vielen Patienten den Aufenthalt in einer Klinik ersparen“.

Die Musik ist, so ergab eine Umfrage, Heilmittel Nummer eins der Bundesbürger gegen Frust und Sorgen.  „Zu welchem Zweck ward uns Musik gegeben? Ist‘s nicht des Menschen Seele zu erfrischen, nach ernsten Stunden und der Arbeit Müh?“ - so dichtete dereinst William Shakespeare. „Zu recht und in weiser Voraussicht heutigen medizinischen Denkens“, sagt der Münchner Arzt Dr. Wolfgang Zierhut. „Seit Jahrtausenden ist die Freude an der Musik tief im Menschen verwurzelt. Sie gehört neben der Religion zu den ursprünglichsten gei-
stigen Bedürfnissen des Menschen. Sogar in unserer technisierten Welt ist dieses geistige Bedürfnis nicht verkümmert!“ Das Empfinden musikalischer Schönheit, um dadurch Ausgleich, Entspannung und Gesundsein zu erfühlen, kann und muss man nicht unbedingt erlernen. Die „Tonkunst“ spricht nicht Vorstellungen und bestimmte Gedanken an, sondern Gefühle und Stimmungen des Gemüts: Was -wie wir wissen- gerade bei Krebs-Patienten von lebenserhaltender Bedeutung ist! Diese Stimmungen aber bewegen uns um so tiefer und wunderbarer, je weniger wir ihrer Anregung Bedeutung beimessen und sie in bestimmte Gedankenbahnen lenken. Die Musik bewegt uns in unbestimmter Furcht und Hoffnung, Traurigkeit und Heiterkeit. „Deshalb“, so sagt der griechische Philosoph Chalibaus, „hat auch keine Kunst so viel Macht über das Gemüt wie die Musik.“ Der Berliner Forscher und Psychologe Martin Hautzinger hat vor ca 25 Jahren eine groß angelegte Umfrage gestartet. Thema: „Nennen Sie antidepressive Verhaltensweisen.“ Auf gut deutsch: was machst du, wenn‘s dir dreckig geht? Platz Nr. l in der „Hautzinger-Studie“: „Musikhören!“ „Solche Meinungsforschungen“, sagt Psychologe Ahrscholz, „sind von gravierender Bedeutung, denn mittlerweile sind wir ja längst nicht mehr nur an klinischen Patienten interessiert. Vom Normalbürger lassen sich jederzeit vernünftige Therapieansätze ableiten!“

Welche Musik ist die Richtige?


„Nichts wäre falscher, als jemandem zu sagen: Hör dir diese Musik an, und du wirst dich besser fühlen“, versichert Dr. Stefan Schaub. Der Diplom-Psychologe und Musikwissenschaftler aus Appenweier:
„Die Seelenlage, Einstellung, Erwartung und auch Vorerfahrung sind ausschlaggebend! Entspannungs-Musik sollte ein gleichmäßiges Tempo aufweisen, das sich in etwa der Frequenz eines ruhigen Pulsschlages angleicht. Sie sollte darüber hinaus eine möglichst enge, dynamische Bandbreite haben, also auf abrupte oder exzessive Lautstärkeschwankungen verzichten. Barockmusik zum Beispiel erfüllt solche Kriterien. Auch in den Lehrbüchern zum Autogenen Training „wird oft auf langsame Sätze aus Werken von Bach oder Vivaldi verwiesen.“ In der Therapie bewährt hat sich aber auch so filigrane Musik wie die von Giovanni Battista Pergolesi (Flötenkonzerte G-Dur, D-Dur und Concerti armonici) oder die Concerti für Streicher von Tomaso Albinom (1671-1750). In einem wohltuend beruhigenden, einheitlichen Rhythmus geschrieben sind auch viele Stücke von Jean-Philippe Rameau - wie etwa sein viertes „Concert“ in b-Dur - ein Perpetuum Mobile in fließenden Achteln. Trotz seiner wenig ruhmvollen Flucht vor J. S. Bach bei einem Musikwettbewerb, hat Rameau auch „heilvolle“ Orgelstücke hinterlassen. „Adagios aus der Romantik“, versichert Dr. Stefan Schaub, „etwa von Mozart oder Chopin, erfüllen unsere Anforderungen nicht ganz: sie sind von lauten und agressiveren Teilen durchsetzt.“ „Heilende Musik“, so der Wissenschaftler, „muß sich nicht an den Strukturen eines Wiegenliedes orientieren“.